8. Dezember 2021

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Schwangerschaftskonfliktgesetz

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst möchte ich mich für die zahlreichen Stellungnahmen bedanken, die uns sowohl schriftlich vorlagen als auch im Rahmen der mündlichen Anhörung vorgetragen wurden. Mein besonderer Dank geht heute an Frau Hänel, die auch an dem Tag der Anhörung eines deutlich zum Ausdruck gebracht hat: Frauen, die ungewollt schwanger sind, haben ein Recht auf
einen diskriminierungsfreien Zugang zur Beratung – ohne Stigmatisierung, ohne Zeit für einen möglichen Abbruch
zu verlieren, ohne bei der Suche nach Informationen auf Seiten von Abtreibungsgegnern zu landen. Frauen haben
das Recht auf seriöse Informationen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Genau deshalb freut es mich wie Herrn Pürsün, dass die neue Koalition in Berlin die Streichung des § 219a StGB vereinbart hat. Hier zur Information: Das ist Bundesgesetzgebung. § 219a ist im Strafgesetzbuch verankert, und das regelt der Bund. Das können wir in Hessen nicht regeln. Deswegen freut es mich, dass wir das jetzt geregelt bekommen und wir damit einen besseren Informationszugang für Frauen haben, die sich in Schwangerschaftskonfliktsituationen informieren möchten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Hänels Kritik ging weit über § 219a StGB hinaus. Sie prangerte die Stigmatisierung an und natürlich auch die rechtliche Verunsicherung, die nach ihrer Auffassung dazu beiträgt, dass immer weniger Stellen Abbrüche anbieten. Gesellschaftliche Stigmatisierung, Schwangerschaftsabbruch als Tabuthema, selbst ernannte Lebensretterinnen und -retter vor Beratungsstellen, die den Beratungssuchenden den Zugang verweigern – das alles bedarf tatsächlich einer gesellschaftlichen Veränderung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen sind Teil einer notwendigen
Versorgungsstruktur und können dann ihre Arbeit verrichten, wenn Gehsteigbelästigungen beendet werden. Das haben wir in Hessen dank unserer Handreichung bereits 2019 rechtssicher erreicht. Das wurde auch in der Anhörung ausdrücklich gelobt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU – Christiane Böhm (DIE LINKE): Dank unseres Gesetzentwurfs!)

Viele andere Bundesländer haben sich für den hessischen Weg interessiert. Gut, wenn jetzt vonseiten des Bundes eine
einheitliche rechtliche Regelung zu erwarten ist. Wir sollten aber an dieser Stelle vielleicht einmal schauen, was tatsächlich im Hessischen Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden kann. Es ist ein Ausführungsgesetz. Vielleicht zum Verständnis für alle: Das Hessische Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz regelt die Förderung der Beratungsstellen, um die Beratung und Unterstützung von Frauen im Falle einer ungewollten Schwangerschaft sicherzustellen.

(Beifall Claudia Ravensburg (CDU))

Das heißt, wir müssen uns anschauen, ob das ausreicht. Dann möchte ich einfach auf die Zahlen blicken. Gefordert ist, „ein ausreichendes plurales Angebot“ von Beratungsstellen mit entsprechenden Fachkräften wohnortnah bereitzustellen. Laut Gesetz bedarf es einer Vollzeitberatungsstelle je 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Für Hessen sind es rund 156 Vollzeitstellen, und das ist erfüllt. Bei der Finanzierung können wir gerne einen Ländervergleich machen. Wir sind mit an der Spitze mit den 84.000 € pro Vollzeitstelle. Die sind mit Blick auf den TV‑H genau zu verhandeln. Aber auch da liegen wir im
Ländervergleich ganz oben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Wir haben im Koalitionsvertrag bereits viel vereinbart, und ich möchte es hier nicht ausweiten. Ich glaube, wir können nachher in der Beratung im Ausschuss vertiefen, was bereits durch den regelmäßigen Austausch mit den Verbänden, auch mit dem Paritätischen und der Liga der Wohlfahrtsverbände, vereinbart wurde. Denn die Stellungnahmen, die abgegeben worden sind, kamen nicht aus heiterem Himmel. Vieles davon war schon beraten und ist schon eingeflossen. Es wurde bereits in den Gesetzentwurf eingearbeitet, sei es die Erhöhung auf die Erfahrungsstufe 6, was eine außerplanmäßige Erhöhung der Pauschale um 3 % ergibt, die Anhebung von Entgeltgruppe E 9 auf E 9b, die Anhebung des Erstattungsbetrages oder die Anpassung des Stichtags für die Auswahlperiode. Viele Sachen wurden da schon eingearbeitet, weil sie vorher schon angeführt worden sind und die Hessische Landesregierung das sehr ernst genommen hat und sie auch immer im Austausch und in der Beratung mit den einzelnen Akteurinnen und Akteuren vor Ort steht.
Ja, wir sind dankbar für die vielen Anregungen, die uns in den Stellungnahmen erreichen; denn sie ermöglichen Verbesserungen und bestätigen auch das, was sich bewährt hat und wir im Sinne der freien Träger erhalten und unverändert
lassen – sei es die Anknüpfung an den hessischen Tarifvertrag oder die dynamische Anpassung der Förderpauschale. Aber wir waren mit den freien Trägern nicht immer einer Meinung, was zum einen die prozentuale Erhöhung der Übernahme von Personal- und Sachkosten angeht. Da möchte ich aber auch auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hinweisen, das nahelegt, dass man 80 % vergüten und einen Eigenanteil von 20 % beibehalten sollte. Der zweite große Kritikpunkt war die Anrechnung von Arztstellen. Dazu muss ich sagen, dass vorher schon bekannt gewesen ist, dass die Anrechnung von Arztstellen abgesenkt werden soll. Die Landesregierung hat genau diesen Schritt gemacht und von 20 % auf 15 % abgesenkt.
Warum sollte man nicht ganz auf den Anteil verzichten? Ich glaube, es ist wichtig, dass sich die Frauen medizinisch beraten lassen können. Man sollte ihnen eine medizinische Beratung nicht vorenthalten. Deswegen brauchen wir die Ärztinnen und Ärzte für eine flächendeckende Beratung in dieser Beratungslandschaft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht hat jemand die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes, Landesverband Hessen, gelesen. Sie fanden,
selbst die Absenkung um 5 Prozentpunkte sei schon kritisch. Sie haben geschrieben, dass sie Sorge hätten, dass es dadurch zu einer zunehmenden regionalen Verknappung kommen könnte. Das ist jetzt eine juristische Einschätzung.
Sie sagten, das wäre ihnen zu viel. Ich denke, es ist trotzdem verantwortbar, diese Prozente beim Versorgungsschlüssel
anzurechnen. In dem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE wird etwas gefordert, was den Versorgungsauftrag anbelangt. Da sind wir uns völlig einig. Auch wir wissen, dass wir den Versorgungsauftrag brauchen. Das ist aber bereits geregelt,
und zwar in § 13 Abs. 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz. Das heißt, wir brauchen keine Verankerung außerhalb der Reihe im Hessischen Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz. Denn da geht es um die Förderung
der Beratungsstellen und um deren Finanzierung. Das heißt, wir müssen schauen – da bin ich auch mit Ihnen völlig einig –, ob wir eine ausreichende Versorgung haben oder ob wir sie verbessern müssen. Wir müssen auch schauen, wie die Landschaft aussieht. Die ELSA-Studie wird da bestimmt noch Aufschluss über vieles geben. Nehmen wir die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag in den Blick. Ich glaube, sie stammt aus dem Jahr 2019. Da wurde für das dritte Quartal 2019 festgestellt, dass wir 82 Meldestellen haben. Den Meldestellen wird mitgeteilt, wo Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden können. Wir haben in Hessen 82 bei 6,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. In Rheinland-
Pfalz sind es 29 bei 4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Da kann man einmal die Relation sehen. Hinsichtlich
der Versorgung sind wir im Ländervergleich möglicherweise gar nicht so schlecht. Ich muss Ihnen aber recht geben. Es kam deutlich heraus, dass wir in bestimmten Bereichen Versorgungsknappheit haben. Ich glaube, da muss man nachbessern. Aber das muss nicht im Hessischen Ausführungsgesetz zum Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Vizepräsidentin Karin Müller:
Frau Abg. Brünnel, wenn das der Schlusssatz war, sind Sie ziemlich in der Zeit.

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ein Thema habe ich noch, das mir ganz wichtig ist. Es wurde auf die Digitalisierung hingewiesen. Wir haben gemerkt, die Digitalisierung ist der Türöffner für die Beratungsstellen. Sie ermöglicht niedrigschwellige Beratung. Auch da werden wir nachbessern.

Vizepräsidentin Karin Müller:
Frau Abg. Brünnel, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede
kommen.

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir werden entsprechende Mittel für die Digitalisierung der Beratungsstellen bereitstellen. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)