18. März 2021

Rede zum Dringlichen Antrag: Gleichberechtigung der Geschlechter voranbringen

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 10. März, also genau gestern vor einer Woche, war der Equal Pay Day, der Internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern. Dieser Tag steht symbolisch für den geschlechtsspezifischen Lohnunterschied. Je früher dieser Tag im Jahr liegt, desto besser; denn umso geringer fällt die Lohnungleichheit aus, das Gender Pay Gap. Im vergangenen Jahr war es der 17. März – wow, dieses Jahr sind wir eine Woche besser, also Grund zur Freude? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Freude fällt leider nur sehr verhalten aus. Denn noch immer ist das Gap in Deutschland mit durchschnittlich 18 % viel zu groß.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Vielleicht noch einmal für alle zum Verständnis: Angenommen, Männer und Frauen bekämen den gleichen Stundenlohn, dann steht der Equal Pay Day für den Tag, bis zum dem Frauen umsonst arbeiten, während ihre männlichen Kollegen ab dem 1. Januar Geld verdienen. Da frage ich mich, wie man da eine Familie ernähren soll. Ja, die Corona-Pandemie hat viele Missstände sichtbar gemacht. Frauen arbeiten nicht nur mit einem Anteil von über 75 % in systemrelevanten Berufen, nein, sie sind zudem auch in den Berufsgruppen beschäftigt, die in der Regel schlecht bezahlt werden. Das führt zwangsläufig zu niedrigen Rentenansprüchen. Das wiederum hat zur Folge, dass Frauen leichter vom Risiko der Altersarmut betroffen sind. Geschlechterdiskriminierung hat also viele Facetten. Der geschlechtsspezifische Lohnunterschied ist eine davon.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht müde werden, darauf hinzuweisen und das zu beenden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

In diesem Jahr stand der deutsche Aktionstag, als Equal Pay Day, unter dem Motto „Game Changer – Mach dich stark für equal pay!“. Genau deshalb bin ich dankbar, dass wir heute einen Blick darauf werfen, wo wir stehen, wo Handlungsbedarf besteht und warum Frauen noch heute, weit über 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, immer noch durchschnittlich über 4 € weniger in der Stunde verdienen als ihre männlichen Kollegen. Aber ist das Gender Pay Gap ein hessisches Problem, das wir nur hier zu beklagen haben? – Leider nein. Der Eindruck entsteht leider, wenn man den Antrag der LINKEN liest.

(Zuruf DIE LINKE: Ach nein!)

Hessen liegt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Mittelfeld. Das schwächt den beklagenswerten Zustand keineswegs ab.

(Zuruf DIE LINKE: Jeder hat seine eigene Statistik!)

Es zeigt aber, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt. Wir wissen durch die Datenerhebung, dass Frauen häufig in Branchen mit geringem Lohnniveau arbeiten und dass Frauen mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, um die Care- Arbeit für Familien und Kinder zu übernehmen. Wir wissen, dass Akademikerinnen und hoch qualifizierte Frauen besonders hart arbeiten und besonders hart von der Entgeltungleichheit betroffen sind. Wir wissen, dass Frauen im ländlichen Raum stärker betroffen sind als in der Urbanität und dass vor allem auch Alleinerziehende und Frauen mit Migrationshintergrund besonders stark betroffen sind – und das, obwohl wir wissen, dass gerade hier die wirtschaftliche Eigenständigkeit besonders notwendig ist. Wir wissen auch, dass die geschlechtsspezifische Lohnlücke zur Altersarmut führt. So weit, so schlecht. Nun stellt sich aber die Frage, wie wir dieser Form der Geschlechterdiskriminierung entgegenwirken und wie es uns gelingt, diese eklatanten Verdienstunterschiede abzubauen und die Lohnlücke zu schließen. Dass in diesem Haus die demokratischen Parteien das Ziel haben, diese Ungerechtigkeiten zu beheben, davon gehe ich einmal aus. Wie wir dieses Ziel aber bestmöglich erreichen können, darüber herrscht möglicherweise Uneinigkeit. Eines steht jedoch fest, liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN: Nur durch das bloße Aufzählen gesellschaftlicher Missstände, wie Sie das im Antrag unter den Punkten 1 bis 8 gemacht haben, sind noch lange keine Lösungen

gefunden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Was wir brauchen, sind verlässliche Daten. Genau die liegen uns auch mit dem Hessischen Lohnatlas vor. Wir brauchen eine Datenlage, die eine Entgelttransparenz überhaupt erst möglich macht. Durch die Aufschlüsselung, wie wir sie im Lohnatlas haben, nach Geschlecht, Qualifikation und Branche, sowie den differenzierten Blick noch einmal in die verschiedenen regionalen Wirtschaftsräume liegen uns in Hessen wertvolle Befunde vor, die einen konstruktiven Dialog überhaupt erst möglich machen. Diesen brauchen wir, und zwar mit den Sozialpartnern, mit den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und mit den Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern. Der Lohnatlas erlaubt uns auch, hessenweit einen Blick in alle Kreise und kreisfreien Städte zu werfen. Das wissen vor allem die Frauenbeauftragten in den Kreisen und Städten zu schätzen, weil sie dann nämlich genau nachvollziehen können, wo Handlungsbedarf besteht und wo noch nachgebessert werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie sich in Ihrem Antrag auf den Lohnatlas beziehen und diesen ins Feld führen, um damit zu belegen, dass die Maßnahmen zur Verringerung der Lohnungleichheit völlig unzureichend sind, oder ob der Lohnatlas die tatsächliche Lohnungleichheit in Hessen gar nicht erfasst, da ausschließlich – so wird es am Anfang auch beschrieben – sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte berücksichtigt sind. Zur Kritik der SPD in der Pressemitteilung vom gestrigen Tag, dass es mehr bedarf als den Verweis auf den Bund:

Liebe Kollegin Gersberg, bei manchen Fragen wie dem gesetzlichen Mindestlohn – Sie haben das eben auch gesagt – und dem Ehegattensplitting muss auf den Bund verwiesen werden. Aber wir wollen uns auch – das haben wir auch in unserem Antrag beschrieben – auf Bundesebene für die Eindämmung prekärer Beschäftigungsverhältnisse einsetzen, wir wollen die angemessene Weiterentwicklung der Mindestlöhne, und wir wollen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Den Vorwurf, dass vonseiten des Landes nur Kleinstmaßnahmen unternommen würden, kann man so hier wirklich nicht stehen lassen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern war die Veranstaltung „Arbeitgeberattraktivität durch Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern – der wichtige Beitrag der hessischen Wirtschaft zur Geschlechtergerechtigkeit“. Es war eine wirklich aufschlussreiche Veranstaltung des HMSI zusammen mit dem Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur.

(Zuruf Christiane Böhm (DIE LINKE))

– Frau Böhm, die Kritik ist durchaus berechtigt. Es lag ungünstig. Das ging uns auch so. – Ich habe mich trotzdem einmal zwischendurch reingeschaltet und dann meine Regionalmitarbeiterin daran teilnehmen lassen. Von daher kann ich sagen, dass das eine wirklich gute Veranstaltung war und sie einen guten Überblick über die vielfältigen Initiativen der Hessischen Landesregierung gegeben hat. Ich kann wirklich sagen, dass es lohnenswert ist, sich das noch einmal anzuschauen. Die Folien sind auch frei verfügbar. Da wurde wirklich sichtbar, was von den Akteuren vor Ort unternommen wird und was vor allen Dingen in dem Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und in den Städten mit den Gemeindevertreterinnen und -vertretern tatsächlich auch entsteht. Eines ist klar: Ohne den Dialog mit den Gewerkschaften und Unternehmensverbänden wird die Schließung des Gender Pay Gap nicht gelingen. Wir brauchen den Dialog mit den Sozialpartnern. Deswegen soll er auch in der zweiten Jahreshälfte 2021 fortgesetzt werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Es ist klar: Wir brauchen eine brancheninterne Sensibilisierung durch Betriebsräte. Und wir brauchen – das habe ich eben schon einmal gesagt – auch einen Blick auf die Betreuungssituation von Kindern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und natürlich auch einen Blick auf die Frage: Wie gestalte ich Berufsorientierung? Dafür ist auch der Lohnatlas ein wirklich sinnvolles Instrument, mit dem die Kreise und die kreisfreien Städte arbeiten können. Wir brauchen die Verabredung von begleitender unterstützender Öffentlichkeitsarbeit, und wir brauchen den regelmäßigen Austausch des HMSI und des IWAK. Das wird auch funktionieren. Davon bin ich überzeugt. Sie haben gefragt, was die Landesregierung denn sonst noch macht. Wir haben einen Preis für Lohngleichheit in den hessischen Betrieben ausgelobt. Und wir haben – nicht zu vergessen – den Elisabeth-Selbert-Preis und den Preis für Lesbische Sichtbarkeit. All das sind Preise, die den Fokus darauf richten sollen, was es noch alles zu tun gibt. Wir wissen, es ist noch ein langer Weg. Keiner von uns kann sagen, dass wir das erreicht hätten, was wir wollen. Aber der Vorwurf, dass man nicht versucht, es zu verändern und das Lohn-Gap zu schließen, ist einfach nicht haltbar.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Ich möchte noch einmal auf einen Punkt eingehen, den Staatssekretärin Anne Janz gestern hier hervorgehoben hat. Sie hat gesagt, dass Unternehmen sehr wohl erkennen, dass sie attraktiv sind, wenn sie eine geschlechtergerechte Entlohnung vornehmen, und dass sie dadurch auch qualifiziertes Personal finden. Sie hat noch einmal gesagt: Die Babyboomer gehen in den Ruhestand. Wir haben jetzt eine Generation, bei der sich die Betriebe darüber Gedanken machen müssen, wie sie attraktiv werden. Gerade für junge Menschen ist diese Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges Kriterium bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes. Deswegen ist das auch ein Faktor der Arbeitgeberattraktivität. Ich glaube, dass das viele Betriebe wissen und viele Betriebe auch schon einsetzen, um qualifizierte Fachkräfte für sich gewinnen zu können. Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen. Wir haben des Weiteren auch die fristgerechte Novellierung des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes vor, die im Jahr 2022 ansteht. Und es wurde nach dem Sondervermögen gefragt. Ich bin froh, dass Sie noch einmal darauf eingegangen sind. Es wurde gesagt, daraus wurde nichts bereitgestellt. – Doch, da gab es auch Angebote, und zwar zur Brückenqualifizierung von Frauen. Das wird bereitgestellt für arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Frauen und insbesondere für Alleinerziehende.