13. Juli 2022

Landespflegeplan für Hessen initiieren

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das deutsche Gesundheitssystem ist aufgrund des demografischen Wandels mit einem zunehmenden Pflegebedarf konfrontiert. Das ist den Leistungserbringern, den Kommunalen Spitzenverbänden, den verantwortlichen Akteuren auf der Bundes-, der Landes- und der Kommunalebene, seit vielen Jahren durchaus bewusst. Immer mehr Menschen werden älter, erkranken an Demenz, werden pflegebedürftig. Gleichzeitig scheidet ein wirklich beachtlicher Teil der derzeitigen Pflegekräfte altersbedingt aus dem Beruf aus. Bis zum Jahre 2035 werden 43 % der heutigen Pflegefachkräfte an ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in den Ruhestand gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, wir hatten weder 2017 ein Erkenntnisproblem, noch haben wir
es heute. Wir stehen vor großen Herausforderungen, wie wir in den kommenden Jahren die pflegerische Versorgung sicherstellen können. Wir wissen, dass über 80 % der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt werden, und wir wissen, dass die Bedarfe steigen. Wir wissen, dass diese Bedarfe nur mit einer Fachkräftegewinnung
weiterhin gut zu decken sind. Wir wissen auch, dass wir uns bei der Fachkräftegewinnung um weit mehr als nur um die Frage der Bezahlung kümmern müssen. Deshalb brauchen wir Antworten auf die Frage, mit welchen
Maßnahmen es uns gelingt, Fachkräfte für die Pflege zu gewinnen, wie es uns gelingt, die Fachkräfte lange für
diesen Beruf zu begeistern, wie wir es schaffen, pflegende Angehörige zu entlasten, wie wir es schaffen, dass der
Pflegeberuf neben einer guten Entlohnung auch eine Aufwertung erfährt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:
Frau Kollegin, die Abg. Dr. Daniela Sommer möchte eine Zwischenfrage stellen.

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das machen wir nachher, wenn ich noch Zeit habe. – Wir sind in einer wirklich herausfordernden Lage, und wir werden diese Mammutaufgabe nur gemeinsam mit dem Bund und den Kommunen lösen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gute Nachricht ist – die kann ich Ihnen schon jetzt verkünden –, dass sich die
Hessische Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren all dieser Aufgaben angenommen hat. Ich frage mich, wo Sie die ganze Zeit waren, wenn Sie alle diese Maßnahmen nicht kennen und nicht mitbekommen haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU –  Zurufe SPD und DIE LINKE)

Ich nutze die mir verbleibenden rund acht Minuten, um Sie kurz ins Bild zu setzen, damit wir alle auf dem gleichen
Wissensstand sind.

(Heiterkeit und Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Wir haben den Hessischen Pflegemonitor. Ich weiß nicht, ob Sie schon davon gehört haben. Den haben wir seit vielen Jahren. In anderen Bundesländern schauen viele nach Hessen und sagen: Super, die Hessen haben ein Instrument, um zu erfassen, wie es bei der Pflegeausbildung ausschaut. Was wird da erfasst? Es wird erfasst, wie es um den Arbeitsmarkt bestellt ist. Es wird erfasst, wie die Ausbildungssituation ist. Es werden die Quoten der Besetzung der Ausbildungsplätze erfasst. Es werden die Situation der Lehrer an den hessischen Pflegeschulen und der Bedarf für die kommenden Jahre erfasst. All das wird mit diesem Informationssystem erfasst. Das heißt, wir haben in diesen Bereichen keine Erkenntnisprobleme.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Wie stellt sich die Situation in den kommenden Jahren dar? All das wird da erfasst. Das heißt, dass wir in diesem
Bereich schon einmal kein Erkenntnisproblem haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es werden entsprechende Regionaldossiers erstellt – das, was Sie immer fordern. Landkreisspezifisch wird darauf geschaut, wie es ausschaut mit den Plätzen der Pflege. Aber Sie sagen: Wir wissen das alles nicht, wir müssen alles neu erfassen. – Das stimmt an dieser Stelle schon einmal nicht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme das gleich zum Anlass, um den Herrn Grumbach anzuschauen – schade, er befindet sich gerade nicht
mehr im Raum. Er hatte gefragt, wie die GRÜNEN eigentlich dazu kommen, ihren Setzpunkt auszuwählen. Das
muss ich Sie jetzt gerade einmal zurückfragen: Wie kommen Sie dazu, Ihren Setzpunkt auszuwählen? Es scheint mir, als hätten Sie die Schubladen durchgeschaut, so kurz vor der Sommerpause, und gesehen, was aus dem Sommer 2017 noch da liegt – Landespflegeplan initiieren –, und gesagt: Mensch, das nehmen wir noch einmal und bringen es als Setzpunkt an. – Das ist ein wortgleicher Antrag heute noch einmal als Setzpunkt. Ich werde gleich noch einmal die Maßnahmen, die seitdem ergriffen worden sind, aufführen. Aber das finde ich schon echt krass.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und
das vor fünf Jahren! – Elisabeth Kula (DIE LINKE): Copy-and-paste! – Weitere Zurufe)

Dann schauen wir noch, zu was der Pflegemonitor alles dient. Das ist ein Planungsinstrument: ein Planungsinstrument für Arbeitgeber, für Pflegeschulen und für Weiterbildungsstätten. Durch ihn wissen wir, wie es aussieht in der hessischen Landschaft, und wir wissen auch, wie es deutschlandweit aussieht. Dann wissen wir, dass wir Fachkräfte gewinnen müssen, und dann wissen wir, dass es eine Fort- und Weiterbildung geben muss, und dann schauen wir einmal auf den Bund: Der hat nämlich schon nachgebessert, indem er mit der im SBG XI verankerten Tarifbindung etwas geschaffen hat, was ab September greifen wird. Wir können darauf vertrauen, dass die besseren Löhne gezahlt werden. Aber auch Hessen war nicht untätig. Das ist genau das, was, wie ich sage, in den letzten Jahren passiert ist. Wir haben das Programm „Sozialwirtschaft integriert“, und im Jahr 2022 stecken 7,2 Millionen € in diesem Programm. Wir haben die Landesinitiative „Pflege in Hessen integriert“, PFIN. Wir haben seit 2021 ein Pflegequalifizierungszentrum, das sich genau darum kümmert: um die Unterstützung für die ambulanten Dienste, für die teilstationären und stationären Pflegeeinrichtungen und für die Krankenhäuser, um hier die Menschen in den Markt zu integrieren und es möglich zu machen, dass sie die entsprechende Qualifikation erhalten und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dem ist nicht genug: Wir beteiligen uns an der Konzertierten Aktion Pflege – Pflege- und Ausbildungsinitiative –, und ich glaube, dass Hessen die generalistische Pflegeausbildung insgesamt gut auf den Weg gebracht hat. Die Ausbildungszahlen
sind gestiegen. Sie sind allein im letzten Jahr um 5,6 % gestiegen. Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinmüssen, aber das sind wir deutschlandweit noch nicht. Das ist kein hessisches Problem, Frau Dr. Sommer.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt noch etwas, worauf wir schauen müssen. Wir wissen, dass es schwierig ist, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hinzubekommen. In dieser Schwierigkeit befinden sich ganz viele Menschen, die pflegebedürftige Angehörige zu Hause haben und gleichzeitig berufstätig sind. Aber auch da war Hessen mit der Initiative „Beruf und Pflege vereinbaren“ tätig. Die hessische Initiative ist im deutschlandweiten Vergleich einen guten Schritt vorangegangen. Gerade bei der Initiative zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hat Hessen eine Vorreiterrolle eingenommen. Hessen hat ein flächendeckendes Netz an Pflegestützpunkten. Alle 21 Landkreise und alle fünf kreisfreien Städte haben Pflegestützpunkte, und sie werden sogar noch in drei Modellregionen zusätzlich von einem individuellen Case Management unterstützt. Ich denke, die Landesregierung schaut da ganz genau hin, um zu sehen, wie gut es funktioniert und ob man das noch weiter ausbauen kann. Es ist also mitnichten so, dass in Hessen niemand einen Anlaufpunkt findet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hessen kann auf die Erkenntnisse des Demenzatlas zurückgreifen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen es
bereits; denn es war in den vergangenen Monaten wirklich häufig Thema – Sie haben eine Kleine Anfrage dazu
gestellt, wir haben es im Sozialausschuss debattiert, wir hatten im letzten Plenum den großen Bereich Pflege –:
Hessen hat in dieser Legislaturperiode einen Pflegeentlastungsfonds mit einem Haushaltsvolumen von 3,2 Millionen € auf den Weg gebracht. Frau Janz hat es beim letzten Mal auch schon klar gesagt: Dieser dient dazu, die häusliche Pflege zu fördern und pflegende Angehörige zu entlasten. Es gibt dieses klare Bekenntnis vonseiten des Sozialministeriums, vonseiten unseres Staatsministers Klose. Sie stellen es immer so hin, als seien wir am Anfang und hätten bis jetzt noch nichts erreicht und noch nichts bewegt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt CDU)

Sie wissen seit einigen Monaten auch, dass Hessen eine Studie auf den Weg bringt, die eine Übersicht in den hessischen Regionen geben möchte – die konkrete Bedarfslage, die Angebotsstrukturen der pflegerischen Versorgung –: ein umfassendes Bild über die Bedarfslage, über die Angebotsstrukturen, um noch einmal einen Blick darauf zu werfen, wie sich die pflegerische Versorgung in den kommenden Jahren darstellen wird. Jetzt kann man sich darüber streiten, wie das Ganze schlussendlich heißt. Aber dass es bereits initiiert ist und es dazu nicht einen fünf Jahre alten, verstaubten Antrag der SPD braucht, das ist doch an dieser Stelle klar.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden also einen Bericht haben, der nicht nur einen Istzustand in der ambulanten und stationären Pflege beschreibt, sondern auch Vorschläge macht zur Anpassung der Versorgungsstrukturen an die prognostizierte Entwicklung. Das ist aber auch keine Neuigkeit, sondern das wurde, wie gesagt, von Sozialminister Klose schon öffentlich gemacht. Wir befinden uns also in enger Abstimmung. Da werden die Kommunen und die Akteure mit eingebunden, damit die Entlastungsmaßnahmen entsprechend auf den Weg gebracht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, die Hessische Landesregierung hat bereits die Erarbeitung des hessischen Pflegeberichts angekündigt. Ihr Antrag auf den hessischen Landespflegeplan kommt deutlich zu spät und ist wirklich obsolet. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

– Dr. Daniela Sommer (SPD): Wir haben den schon früher eingereicht!

– Gegenruf Jürgen Frömmrich
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 2017?

Vizepräsident Frank Lortz:
Herzlichen Dank. – Es gibt eine Kurzintervention von Frau Kollegin Dr. Daniela Sommer. Bitte sehr, Daniela.

Dr. Daniela Sommer (SPD):
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Brünnel, schauen Sie vielleicht einmal auf das Datum
der Einbringung – wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Das war auf jeden Fall vor der Ankündigung Ihrer Studie.

(Stephan Grüger (SPD) und Jan Schalauske (DIE LINKE): Hört, hört!

– Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 2017! Noch nicht mal die Überarbeitung war es Ihnen wert! –

Gegenruf Stephan Grüger (SPD): Sie sind aber schlecht gelaunt! – Unruhe – Glockenzeichen)

Weil Sie gefragt haben, warum wir das zum Setzpunkt machen: Wissen Sie, warum? Weil das eine Zukunftsfrage
ist, wir den Menschen zuhören und hören, was für Defizite wir im Land Hessen haben – deswegen machen wir das.

(Zurufe – Unruhe)

Warum wird denn über die Pflege im Landtag und in den Ausschüssen debattiert? Weil die Opposition es zum Thema macht, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall SPD – Fortgesetzte Zurufe – Glockenzeichen)

Ich finde, das Schönste ist: Sie sagen, Sie hätten kein Erkenntnisproblem. Wenn Sie kein Erkenntnisproblem haben, weshalb setzen Sie denn dann eine Studie auf? Wenn Sie kein Erkenntnisproblem haben, warum haben Sie nicht schon lange agiert? Dann haben Sie ja tatsächlich ein Umsetzungsproblem, meine Damen und Herren. Ich möchte noch einmal sagen: Die Menschen, mit denen wir sprechen, finden vor Ort keine Angebote, keine Plätze, und die fühlen sich einfach im Stich gelassen, die sind ohnmächtig. Die brauchen – Sie haben gesagt: wir bekennen uns dazu – keine Bekenntnisse, die brauchen Taten.

(Beifall SPD)
Ich möchte noch einmal betonen: Wir haben ein gemeinsames Ziel. Über den Weg müssen wir uns streiten. Aber es reicht doch nicht, einen Weg nur zu skizzieren, man muss ihn beschreiten und umsetzen. Das machen Sie unzulänglich, und deswegen haben wir das heute zum Setzpunkt gemacht und hoffen, dass Sie das mitnehmen und endlich etwas für die Menschen tun, die unbedingt Hilfe brauchen.

(Beifall SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Sommer. – Es gibt die Möglichkeit, zu antworten. Bitte sehr.

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Frau Dr. Sommer, ich reagiere sehr gerne auf ihre Intervention und sage es noch einmal: Es würde Ihnen
guttun, wenn Sie hin und wieder einmal zuhören und die Antworten auch ankommen lassen würden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf Elisabeth Kula (DIE LINKE) – Unruhe – Glockenzeichen)
Ich habe sehr klar und deutlich gesagt, dass wir noch eine Mammutaufgabe vor uns haben. Die haben wir vor uns.
Das stimmt, und sie ist überhaupt nicht zu leugnen; die haben wir bundesweit vor uns. Das ist kein hessisches
Problem. Das sollte bei Ihnen ankommen, und es wäre wunderbar, wenn Sie einmal dem Staatsminister Klose zuhören würden, wenn er die Maßnahmen erläutert. Dann hätten Sie selbst gemerkt, dass Ihr heutiger Antrag obsolet ist, und hätten ihn nicht noch einmal einbringen müssen.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)