24. Februar 2022

Hessen setzt auch 2022 klaren Schwerpunkt auf Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der heutigen
Ereignissen ist es schwer, zur geplanten Tagesordnung überzugehen. Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine und bei all denen, die von diesem Krieg betroffen sind. Krieg und Gewalt müssen immer verhindert werden. In diesen Kontext passt auch unser Antrag, der sich mit der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen beschäftigt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Hessen setzt auch im Jahr 2022 einen klaren Schwerpunkt auf die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Dafür haben wir bei der Verabschiedung des Haushalts erneut die Weichen gestellt, und das ist gut und richtig so.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Jede dritte Frau in Deutschland wird Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt. Das ist eigentlich unfassbar, und doch generiert diese dramatische Tatsache leider immer noch zu wenig Aufmerksamkeit. Insbesondere häusliche Gewalt tritt in allen sozialen Schichten auf, unabhängig von Bildung, Alter und Religionszugehörigkeit der Betroffenen. Um Veränderungen zu erreichen, braucht es eine Sensibilisierung für das Thema, aber auch die kritische Auseinandersetzung mit tradierten Rollenbildern und geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen sowie weitreichende Unterstützungs- und Hilfeangebote für die Betroffenen. Jegliche Form der Gewalt gegen Frauen muss bekämpft, besser noch: durch geeignete Präventionsmaßnahmen bereits im Vorfeld verhindert werden. Gewalt gegen Frauen geht uns alle an und wird uns in den kommenden Jahren noch vor große Herausforderungen stellen – nicht nur in Hessen, sondern deutschlandweit. Deswegen lohnt es sich durchaus, einen Blick auf die Berliner Koalitionsvereinbarung zu werfen. Ich denke, wir können sehr hoffnungsvoll sein, dass sich da noch einiges bewegen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umsetzung der Istanbul- Konvention muss auf allen Ebenen erfolgen. Ich bin zuversichtlich, dass unser Antrag deutlich machen kann, was bereits in Hessen unternommen wurde und was in den kommenden Jahren noch umgesetzt werden soll. Es ist schon ziemlich viel gesagt worden, auch von der Kollegin Ravensburg. Ich möchte trotzdem drei zentrale Punkte noch einmal herausstellen:
Erstens. Wir werden in Hessen eine Landeskoordinierungsstelle einrichten. Frau Böhm, das war eines der zentralen Anliegen der Verbände, das an uns herangetragen wurde, und wir haben uns dafür eingesetzt, dass das jetzt umgesetzt
wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU –

Zuruf Christiane Böhm (DIE LINKE))

Wir haben in Hessen neben der bereits bestehenden Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt zukünftig eine Landeskoordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Von der Einrichtung dieser Stelle erwarten wir uns positive Effekte. Was ist zu erwarten? – Wir haben möglicherweise eine verbesserte Datenlage zur Verfügung, wir haben eine weitere Möglichkeit zu einer breiten Öffentlichkeitsarbeit, zur Koordinierung aller Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung
jeglicher Gewalt gegen Frauen, wir haben eine Vernetzung aller Akteure auf kommunaler Ebene mit der Landes- und der Bundesebene, und selbstverständlich ist damit auch ein behörden- und ressortübergreifender Erfahrungs- und Informationsaustausch möglich. Vor allem wird es zu einer Koordinierung ressortübergreifender Aufgaben kommen; das betrifft das Sozial-, das Kultus-, das Justiz- und das Innenministerium. Für die Umsetzung stehen 250.000 € zur Verfügung. Im
Rahmen des Bundesinvestitionsprogramms – es ist schon erwähnt worden – stehen 2,6 Millionen € zur Verfügung. Davon kommen 2,1 Millionen € vom Bund, die vom Land mit 500.000 € flankiert werden. Damit ist es möglich, den Ausbau der Frauenhäuser und eine Umstrukturierung, z. B. für mehr Familienzimmer, voranzubringen. Selbstverständlich bedarf es dann auch eines Aufbaus der Personalkapazitäten. Genau dieses Themas haben wir uns angenommen und stellen ab dem Jahre 2022 2 Millionen € zum Personalausbau zur Verfügung. Das ist ein echter Meilenstein bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Liebe Frau Böhm, wir wissen, welchen wichtigen Beitrag Frauenhäuser zum Gewaltschutz leisten. Auch an dieser Stelle sei noch einmal ein herzliches Dankeschön an alle Akteurinnen und Akteure von mir gesagt. Wir kennen die Herausforderungen, die die Beratungsstellen, die Interventionsstellen und die Frauenhäuser zu leisten hatten, insbesondere unter den Pandemiebedingungen in den vergangenen zwei Jahren. Deshalb haben wir bereits im Jahre 2020 mit einer ersten Charge aus dem Sondervermögen 3 Millionen € bereitgestellt, um diese Mehrbedarfe abzufedern. Im Jahre 2022 steht dafür eine weitere Million Euro zur Verfügung. Das heißt, wir lassen unsere Frauenhäuser, unsere Beratungs- und Interventionsstellen bei dieser Arbeit nicht allein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

In dem Antrag der LINKEN schreiben Sie, dass wir jetzt „erste Schritte in die richtige Richtung“ gehen. Das ist geradezu
absurd. Ich sage Ihnen auch gerne, warum. Hessen stellt für Systeme des Frauenschutzes und des Kinderschutzes im Jahre 2022 über 10 Millionen € zur Verfügung. Hinsichtlich der Kapazitäten der Frauenhäuser – dass die deutschlandweit zu schlecht sind, bestreitet hier niemand – steht Hessen im bundesweiten Vergleich an dritter Stelle. Unsere Frauenhäuser erhalten, das wissen Sie genauso gut wie ich, über die kommunalisierten Landesmittel 5,4 Millionen €, die Beratungs- und Interventionsstellen 2,4 Millionen €, und im Bereich Kinderschutz werden noch einmal 2,4 Millionen € ausgegeben. Ich komme zu einem dritten wichtigen Punkt, den ich noch einmal herausstellen möchte, nämlich dem Schutz von Gewalt betroffener Männer und Jungen. Auch hier wird etwas getan. Wir bringen vier Beratungsstellen auf den Weg, um auch männlichen Opfern von Gewalt gerecht zu werden, Frau Böhm.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU –

Zuruf Christiane Böhm (DIE LINKE))

Frau Ravensburg hat es bereits gesagt: Wir haben 1,7 Millionen € für Maßnahmen und Projekte zur Umsetzung der
Istanbul-Konvention zur Verfügung gestellt. Dazu gehören selbstverständlich auch Maßnahmen im Bereich der gesundheitlichen Versorgung von Gewaltopfern und Maßnahmen zur Prävention vor Gewalt. Einige dieser Maßnahmen sind schon erwähnt worden. Für Gebärdensprachdolmetscher stehen Mittel in Höhe von 100.000 € bereit. Außerdem sollen Barrieren für Frauen mit Migrationshintergrund und natürlich auch für Frauen mit Sprach- und Hörbehinderungen abgebaut werden. Wir haben das Modellprojekt „Proaktive Beratung für Frauen und Mädchen mit Behinderungen“
durchgeführt. Es hat sich bewährt, und wir setzen es fort. In Hessen gibt es für Fälle sexueller Gewalt eine Einrichtung
für eine vertrauliche Spurensicherung, das Forensische Konsil in Gießen, und das Modell „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ ist auf einem guten Weg. Da gibt es noch viel zu tun, das wissen auch wir, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, um diese Hilfen zum medizinischen Standard zu erheben. Auch die Möglichkeit, ohne vorausgehende Strafanzeige eine Beweissicherung nach einer Vergewaltigung vornehmen und diese mit 200 € abrechnen zu können, ist ein wichtiger Fortschritt, der es den Krankenhäusern ermöglicht, aktiv zu werden und diese Hilfe anzubieten. Für Frauen ist es wichtig, dass Untersuchungen auch anonym stattfinden können. Wir haben das Modell gegen Ehrgewalt, über das wir im
Plenum schon häufiger gesprochen haben, das von den relevanten Communitys gut mitgetragen wird. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Außerdem unterstützen wir Maßnahmen in dem großen Bereich schwerer Menschenrechtsverletzungen, indem wir z. B. entschieden der Verstümmelung weiblicher Genitalien entgegentreten. Es gibt hier zwar ein gesetzliches Verbot, aber wir wissen, dass immer noch zu viele Frauen und Mädchen von Verstümmelungen betroffen sind. Deswegen ist es wichtig, dass FIM und pro familia unterstützt werden, damit diese ihre Projekte voranbringen
und erhalten können.
Eines erscheint mir noch erwähnenswert: Sie haben die Kooperation zwischen dem Land Hessen und der Nassauischen
Heimstätte vorhin mit der Bemerkung abgetan, es stünden nur zehn bis 15 Wohnungen bereit. Die Kooperation zwischen der Nassauischen Heimstätte und dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen ist einer der zentralen Punkte aus dem Koalitionsvertrag, den wir auf den Weg gebracht haben. Das ist ein Modellprojekt. In mehreren Städten Hessens stehen jetzt Wohnungen für Frauen zur Verfügung, die zu lange in den Frauenhäusern verweilen würden. Das heißt, wir machen einen früheren Auszug möglich, insbesondere dort, wo der Wohnungsmarkt angespannt ist. Auch das ist, wenn man den in den Frauenhäusern und in den Beratungsstellen Tätigen zuhört, ein ganz wichtiger und zentraler Punkt, um wieder Platz in den Frauenhäusern zu schaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Alles in allem ist das ein – wie ich finde – mehr als erfreuliches Gesamtpaket an Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-
Konvention. Mir geht es genauso wie Frau Ravensburg: Es ist sehr schade, dass wir heute sehr viele Themen
in diesen Setzpunkt hineingepackt haben. Sie haben auch das Thema Gehsteigbelästigungen mit aufgerufen. Sie wünschen sich eine gesetzliche, rechtssichere Grundlage, um Belästigungen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen,
Kliniken und Arztpraxen in irgendeiner Form zu sanktionieren. Frau Böhm, wir sind uns da im Ziel völlig einig. Die Beratungsstellen erfüllen eine ganz wichtige Aufgabe. Sie erfüllen zudem eine gesetzliche Aufgabe. Wir haben im Jahre 2019 eine Handreichung für die Kommunen herausgegeben. Diese war sofort und äußerst wirksam. Das war ein ganz wichtiges Kriterium, das wir geschaffen haben.

(Zuruf Christiane Böhm (DIE LINKE))

– Wir wissen nicht, wie es ausgeht. Wir haben das jetzt erst einmal vor dem Verwaltungsgericht in Frankfurt. Wir wissen aber auch, dass der Prozess noch nicht zu Ende ist, und keiner kann sagen, wie es tatsächlich ausgehen wird.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:
Frau Brünnel, kommen Sie bitte zum Schluss.

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich muss noch ganz kurz etwas dazu sagen. – Sie haben damals einen Gesetzentwurf vorgestellt, der für uns aber so nicht tragbar war. Er war deswegen nicht tragbar, weil die Gesetzgebungskompetenz nicht bei uns liegt. Die Gesetzgebungskompetenz liegt beim Bund. Wenn Sie das Rechtsgutachten von Frau Dr. Sina Fontana kennen, dann wissen
Sie, dass sie das in einem Bundesgesetz regeln möchte, nämlich in einem neuen § 14a SchKG. Ich glaube, dass das
dorthin gehört, und ich glaube, dass es dann eine rechtssichere Lösung für alle Beratungsstellen in Deutschland gibt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Wie Sie merken, ist die Zeit sehr schnell vorbeigegangen, weil wirklich sehr viel in diesen Setzpunkt hineingepackt wurde. Ich möchte mich bei allen Akteuren bedanken, vor allem beim Sozialministerium, das immer viel Geduld aufbringt, um Große Anfragen zu beantworten. In diesem Fall wurden 225 Fragen beantwortet. Dafür von dieser Stelle aus vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU –

Zurufe SPD und DIE LINKE)