6. Dezember 2022

Erste Lesung: Gesetz zur Änderung des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Vielleicht zunächst ein Wort zu Herrn Enners von der AfD:
Es ist schon erstaunlich, dass Sie jetzt die Rolle des frauenpolitischen Sprechers übernommen haben.

(Dr. Frank Grobe (AfD): Das ist divers!)
Ich vermute, es liegt am Fehlen einer frauenpolitischen Sprecherin; die ist Ihnen abhandengekommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Richter (AfD): Frau Papst-Dippel ist krank!)

Seit 1949 – wir haben es schon gehört – ist in Art. 3 Abs. 2 in unserem Grundgesetz verankert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ 1994 wurde dieser Satz um einen ganz entscheidenden Passus erweitert, wie wir eben von Frau Böhm gehört haben:

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das ist ein Verfassungsauftrag, und es ist schon interessant, dass er hier als eine strukturelle Benachteiligung von Männern ausgelegt wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fakt ist aber auch – das gehört zur Wahrheit dazu –, dass Frauen, obwohl rechtlich gleichgestellt, in der Realität immer noch benachteiligt werden. Und ja, es ist und bleibt weiterhin unsere Aufgabe, das zu ändern. Seit 104 Jahren haben wir das Frauenwahlrecht, und leider gibt es immer noch keine Parität in unseren Parlamenten. Liebe Frau Knell, wir arbeiten daran, dass es mehr Parität in den Parlamenten gibt. Wir GRÜNE setzen mit unserer Quote auf Qualität und Quantität, und ich glaube, damit fahren wir sehr gut.
(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf Freie Demokraten)

Wir haben viel erreicht. Wir haben mit dem Mutterschutzgesetz im Jahr 1952 einiges erreicht, wir haben mit dem Gleichberechtigungsgesetz im Jahr 1958 viel erreicht, wir haben durch die Reform des Ehe- und Familienrechts 1977 viel erreicht, und wir haben durch das Hessische Gleichberechtigungsgesetz im Jahr 1994 viel erreicht, das 2016 grundlegend novelliert wurde. Trotzdem – das muss man hier auch ganz klar sagen – sind wir weit davon entfernt, uns entspannt zurücklehnen zu können. Laut dem „Global Gender Gap Report“ brauchen wir 132 Jahre, und zwar weltweit, bis die Gleichstellung erreicht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns darin einig, dass das entschieden zu lang ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet natürlich auch, dass wir unsere Gesetze novellieren und nachbessern müssen. Genau deshalb beginnt
heute die Debatte über das HGlG. Die Frage wird sein, welche Änderungen vorgenommen werden müssen, damit das HGlG eine bessere und schnellere Wirkung erzielt: Bedarf es mehr Sanktionen oder doch gezielter Förderungen von Maßnahmen, die dem Abbau der Chancenungleichheit dienen? Braucht es die Konkretisierung eines Leitprinzips oder eine gendergerechte Bewusstseinsbildung? Ober müssen strukturelle Barrieren Schritt für Schritt abgebaut werden, damit das zu einem gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess beiträgt?
Die Widerstände, wenn es um die Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit geht, können sehr vielfältig sein. Das wissen wir aus dem sechsten Bericht zur Umsetzung des HGlG. Tradierte Rollenbilder und geschlechtsspezifische Aufgabenteilungen müssen aufgebrochen und überwunden werden, um eine Gleichstellung zwischen den Geschlechtern sicherzustellen, und das darf sicherlich nicht nur im privaten Kontext der Fall sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen in puncto Geschlechtergerechtigkeit, müssen wir einerseits die entsprechenden
Gesetze auf den Weg bringen – und das auf allen Ebenen – und andererseits für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen werben. Sonst werden wir immer hinter unseren Erwartungen zurückbleiben. Die entscheidende Frage in der Debatte über das HGlG wird also nicht sein, ob wir bereits dort angekommen sind, wo wir hinkommen wollen, sondern ob wir die richtigen Stellschrauben erkannt haben, um strukturelle Benachteiligungen von Frauen zu beheben. Ich glaube, allein dadurch, dass wir in den ersten Paragrafen aufgenommen haben, „strukturelle Benachteiligungen von Frauen“ beheben zu wollen, haben wir einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan und einen Fokus darauf gelegt, wohin wir gehen und wo wir etwas nachbessern wollen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Ich bedanke mich auch dafür, dass heute Vertreterinnen der Landesarbeitsgemeinschaft anwesend sind, mit denen
wir seit einigen Wochen im Austausch sind. Wir haben ihnen schon in der Debatte gesagt, dass das heute die erste
Lesung ist, dass wir sicherlich auch noch Anhörungen – schriftlicher und mündlicher Art – haben und den Gesetzentwurf in weiteren Lesungen beraten werden und dass er jetzt auf den Weg gebracht worden ist. – Ich sage aber auch: Ob ein anderer Gesetzentwurf, der 81 Paragrafen umfasst und am 03.11.2022, also gerade erst, öffentlich erschienen ist, die notwendigen, richtigen Stellschrauben identifiziert, bedarf ebenfalls der genauen Betrachtung, so, wie auch wir auf unseren Gesetzentwurf schauen werden.

Auch wenn sich in den letzten Jahren viel bewegt hat, sage ich jetzt hier – das hat auch Herr Klose schon gesagt –,dass die Chancengleichheit von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst noch nicht erreicht und noch lange nicht auf allen Ebenen erreicht ist. Wir müssen die Förderung von Frauen in Führungspositionen stärken; und wir müssen die berufliche Entwicklung von Beschäftigten mit Familienaufgaben noch einmal ganz klar in den Fokus rücken. Mit der letzten Novellierung ist einiges in die Richtung getan worden, und zwar die Stärkung der Rechte der Frauenbeauftragten, die Einführung des Organklagerechts – wir haben es eben schon gehört – und die rechtssichere Präzisierung der Freistellung für Frauenbeauftragte. Die sind ins
Gesetz mit aufgenommen. Diese Änderungen haben auch Wirkung erzielt. Aber ja, an mancher Stelle – das muss ich auch sagen – muss man dann auch die Verantwortlichen in den Kommunen zur Verantwortung rufen. An mancher Stelle wurde es nicht eingehalten. Ich glaube, da bedarf es eines Schulterschlusses, aber auch deutlicher Worte in den einzelnen Gebietskörperschaften.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Claudia Ravensburg (CDU))

Insbesondere durch die gezielten Förderungen von Frauen mit Vorgesetzen- und Leitungsaufgaben, durch die Verbesserungen
der Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen – auch für Teilzeitbeschäftigte – können sicherlich weitere Fortschritte erzielt werden.
Das, was eben so lapidar weggewischt wurde – auch von Frau Gersberg –, dass jetzt Betreuungsaufgaben durchaus erstattet werden, finde ich einen ganz wichtigen Punkt; das muss ich Ihnen sagen. Wenn man es sich tatsächlich erstatten lassen kann, dass man nicht in der Lage ist, sein Kind zu den Regelzeiten in die Kita zu geben, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Wir stärken damit tatsächlich auch die Möglichkeit, dass Frauen ihre Aufgaben wahrnehmen können. Aber ich sage auch ganz klar: Die Denke ist schon falsch, wenn wir nur davon ausgehen, dass Frauen dann ihre Aufgaben wahrnehmen; denn eigentlich sind es auch die Aufgaben der Männer und der Väter.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Wir haben die geschlechterneutrale Ausschreibung der Stellen – auch wenn man es der AfD vielleicht an anderer Stelle noch einmal erklären muss; die Redezeit ist mir dafür zu schade – und die Wahl des Arbeitsortes, die noch einmal ganz klar hinterlegt worden ist, die maßgeblich dazu beiträgt, wie gut die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf dann tatsächlich auch funktionieren kann. Ich will jetzt nicht noch einmal alles anreißen, was eben schon einmal aufgeworfen worden ist und was alles in den Änderungen mitgefasst worden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich abschließend sagen, dass Geschlechtergerechtigkeit das Kernstück unserer Demokratie ist und dass Feminismus und Debatten über geschlechtergerechte Politik kein Gedöns sind, sondern notwendig, um Frauenrechte und Menschenrechte weltweit zu stärken.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und Rolf Kahnt (fraktionslos))

Wir wollen und müssen in der Gleichstellungsfrage noch deutlich besser werden. Einigkeit herrscht darüber, dass der öffentliche Dienst in Hessen auch weiterhin eine Vorbildfunktion einnehmen sollte. Über die Maßnahmen und über die gesetzlichen Regelungen, wie uns das am besten gelingen kann, werden wir sicherlich noch nach den Anhörungen
ausführlich beraten.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Anhörung, auf die weiteren Beratungen im Ausschuss und auch weiterhin auf den konstruktiven Dialog mit Ihnen, den Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft hier in Hessen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU und Rolf Kahnt (fraktionslos))