19. Februar 2020

Altersamut in Hessen

Silvia Brünnel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der LINKEN zum Thema „Altersarmut in Hessen“ hat durchaus ihre Berechtigung. Altersarmut und Altersgefährdung haben die unterschiedlichsten Ursachen. Deswegen ist es wichtig, die Definition von Armut, die soziodemografischen Kriterien und die Angebote zur Daseinsvorsorge auf Landes- und auf kommunaler Ebene zu betrachten, um genau in dieser Vielschichtigkeit Lösungen anbieten zu können. Genau das macht die Hessische Landesregierung seit Jahren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Die Hessische Landesregierung stützt sich definitorisch auf international anerkannte Armutsgrenzen. Wer also weniger als 60 % des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens zur Verfügung hat, der gilt als arm. Das betrifft nach der letzten Statistik ca. 16 % der über 65-Jährigen in Hessen. Nach Frauen und Männern, nach geschlechtsspezifischen Kriterien, unterteilt: Es trifft Frauen deutlich stärker als Männer. Männer sind mit nur 13,4 % davon betroffen, Frauen mit 18 % deutlich höher. Im Vergleich jedoch zu den Armutsrisiken der jungen Menschen in Hessen – der unter 18-Jährigen – ist es eher als unterdurchschnittlich einzuschätzen. Ist es also kein Grund zur Sorge oder kein Anlass zum Handeln? – Mitnichten. Der Anstieg von 2 Prozentpunkten seit 2005, aber auch die Zahlen, die das Armutsrisiko der Frauen belegen, sind genauso ernst zu nehmen wie alle Anzeichen, die auf eine zukünftige Zunahme der Altersarmut hindeuten.
Der 2. Hessische Landessozialbericht befasst sich mit den Ursachen und Risiken und sieht vor allem die unterbrochenen Erwerbsbiografien als eine der zentralen Ursachen. Diese sind meist familienbedingt. Verehrte Kolleginnen
und Kollegen, genau da müssen wir ansetzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Nach wie vor arbeiten mehr Frauen in Teilzeit oder als geringfügig Beschäftigte, sind überproportional im Niedriglohnsektor beschäftigt und übernehmen die Pflege ihrer Angehörigen, sodass eine eigene Alterssicherung nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Genau hier muss sich wirklich noch viel bewegen. Unsere Rentnerinnen und Rentner – besser gesagt: unsere Senioren – sind keine homogene Gruppe. Sie sind so unterschiedlich wie nie zuvor. Sie haben die unterschiedlichsten Erwerbsbiografien. Sie sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Sie leben in Ballungsräumen oder im ländlichen Raum – und sie sind vor allem männlich oder weiblich. Ja, es gibt sie, die Rentnerinnen und Rentner, die in verdeckter Armut leben, die aus Scham und Sorge, dass ihre Kinder für sie aufkommen müssen, ihre gesetzlichen Ansprüche nicht wahrnehmen, und, ja, es gibt auch die, die in keiner Statistik auftauchen. Es gibt diejenigen, die nicht wissen, dass ihnen staatliche Zuschüsse zustehen. Deswegen begrüßen wir es auch, dass die Leistung „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ eingeführt wurde und dass die Deutsche Rentenversicherung dazu verpflichtet
wurde, Kleinrentner auf ihren Grundsicherungsanspruch aufmerksam zu machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Beratung und politische Partizipationsmöglichkeiten sind ein wichtiger Schlüssel, um Armutsgefährdung entgegenzuwirken und um die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen in unserem Land zu verbessern. Das bedeutet auf Bundesebene, dass das Rentenniveau in den nächsten Jahren nicht weiter sinken darf, aber natürlich auch, dass darauf geachtet wird, dass der Beitragssatz in einem angemessenen Verhältnis steht. Die junge Generation muss der gesetzlichen Rente vertrauen können, sie muss aber auch die Beiträge stemmen können, die dazu führen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Ohne eine Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand, ohne betriebliche oder private Altersvorsorge wird die Lebensstandardsicherung im Alter in Zukunft kaum möglich sein. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in so manche Altersvorsorgeprodukte ist angeschlagen. Genau deswegen liegt vonseiten der Hessischen Landesregierung ein Konzept auf dem Tisch, das vor allem den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommt, die niedrige Einkommen haben. Die Deutschlandrente ist ein einfaches, öffentliches und transparentes Produkt, ein Staatsfonds, bei dem die erwirtschafteten Überschüsse an die Beitragszahlerinnen und -zahler gehen und nicht an die Banken und Versicherungen. Das ist ganz in unserem Sinne.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Vor allem aber müssen Maßnahmen ergriffen werden, um geschlechtsspezifische Rentenlücken zu schließen. Dabei reicht es nicht aus, die Anrechnung der Kindererziehung auszuweiten; nein, es geht auch darum, die Benachteiligung
von Frauen am Arbeitsmarkt zu beseitigen und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.

(Zuruf DIE LINKE: A 13!)

In Hessen sorgt unter anderem das HGlG für die Förderung von Frauen in den Bereichen, in denen sie noch unterrepräsentiert sind. Nur mit adäquaten Aufstiegschancen können existenzsichernde Einkommen erzielt und eine eigenständige
Altersvorsorge aufgebaut werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Dazu bedarf es von Anfang an – das geht auch in Richtung der Opposition – einer verlässlichen Kinderbetreuung dort, wo Menschen mit diesen Bedürfnissen leben. Ich kann es mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen, auf das viel gescholtene Programm „Starke Heimat Hessen“ hinzuweisen. Allein aus diesen Programm gehen nämlich 120 Millionen € an die Kommunen und in die Kinderbetreuung. Daher kann ich nicht verstehen, warum immer wieder Reden dagegen gehalten werden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU – Zurufe DIE LINKE)

Um es auszudehnen: Wir haben 20 Millionen € in den ÖPNV und 35 Millionen € in die Krankenhäuser investiert. All das dient der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der gesellschaftlichen Teilhabe älterer Menschen in unserem
Land.  Dann sind wir auch bei dem Thema Daseinsvorsorge auf Landes- und kommunaler Ebene. Dazu möchte ich gern, wenn man mir die Zeit zugesteht – auch von der LINKEN –, noch ein paar Dinge sagen. Hessen hat in schwarzgrüner
Verantwortung die Fachkräfteoffensive vorangebracht, um Chancen von Langzeitarbeitslosen und Migranten zu verbessern. Das Seniorenticket ist ein voller Erfolg und verbessert kostengünstig – das bestreiten Sie ja immer – die Mobilität und die gesellschaftliche Teilhabe in ganz Hessen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU – Zuruf DIE LINKE)

Es gibt ausreichend Fördergelder für Gesundheitszentren. Das bedeutet für viele ältere Menschen, den Wohnort im ländlichen Raum behalten zu können und nicht in möglicherweise teurere Ballungszentren ziehen zu müssen. Förderprogramme schaffen soziale Zentren und generationsübergreifende Angebote. Wir haben eine Förderung von Familienzentren. Im Jahr 2019 wurden 162 Familienzentren mit rund 2,1 Millionen € unterstützt. Wir haben das Förderprogramm Gemeinwesenarbeit, um benachteiligte Quartiere in Hessen zu fördern und weiterzuentwickeln. Wir haben den Wettbewerb „Aktion Generation – lokale Familien stärken“. Hessen fördert die Hessische Fachstelle für Wohnberatung und die Hessische Fachstelle für Demenz- Wohngemeinschaften.

(Christiane Böhm (DIE LINKE): Wo bleibt das Konzept gegen Altersarmut?)

In der Planung ist der im Koalitionsvertrag vereinbarte Hessenpass. Ich könnte noch viele weitere Stellen nennen.

(Zuruf Christiane Böhm (DIE LINKE))

Liebe Frau Böhm, der schwarz-grünen Koalition und der Hessischen Landesregierung ist die Tragweite und Bedeutung von Altersarmut bewusst. Menschen müssen auch in der Lage sein, im Alter ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeitund der Würde. Genau dafür setzen wir uns mit unserem Programm ein. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)