28. April 2021

Rede zum Gesetz zur Teilhabe von Menschen mit Sinnesbehinderungen

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute liegt der Gesetzentwurf der Hessischen Landesregierung zur Teilhabe von Menschen mit Sinnesbehinderungen vor. Damit setzen wir erneut ein Signal hin zu einem inklusiven Hessen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal ein Gespräch mit einem Gebärdensprachdolmetscher geführt haben. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Gespräch, das simultan von einem Gebärdensprachdolmetscher übersetzt wurde. Ich war fasziniert, wie unkompliziert ein Gespräch stattfinden kann – ein ganz normales Gespräch. Aber leider wurde unser Gespräch abrupt unterbrochen. Es war Mittagszeit; und jeder kennt es: Die wunderbaren Glocken der gegenüberliegenden Marktkirche haben absolut ihr Bestes gegeben. Es war wunderschön anzuhören, aber es ist auch wahnsinnig laut, wenn man direkt gegenüber versucht, sich bei offenem Fenster zu unterhalten. Ich ging also schnell zum Fenster mit den Worten: „Sorry, ich verstehe gerade gar nichts mehr. Ich mache schnell das Fenster zu, dann können wir uns wieder unterhalten.“ Mein gehörloser Gesprächspartner konnte sich das Lachen nicht verkneifen und scherzte direkt: „Das war jetzt einmal kein Problem für mich.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies hat mir erneut gezeigt, dass nicht der Mensch behindert ist, sondern dass die gesellschaftliche Wirklichkeit den Menschen behindert.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SPD)

Die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben weiter zu fördern und zu entwickeln hin zu einer inklusiven Gesellschaft, ist und bleibt ein stetiger Prozess und ein elementarer Baustein sowie Bestandteil unseres politischen Selbstverständnisses. Die Schwierigkeiten im Alltag, die gehörlose und taubblinde Menschen zu bewältigen haben, können wir uns nicht wirklich vorstellen. Und ja, Corona hat die Situation noch einmal deutlich verschlechtert. Wir brauchen die Fachverbände und Interessenvertretungen, die immer wieder beratend zur Seite stehen und nicht müde werden, auf die Problematik aufmerksam zu machen. Deshalb geht mein Dank an dieser Stelle an sie; denn es ist ihrem Engagement zu verdanken, dass sie die Einführung eines Gehörlosengeldes seit Jahren als ihr Anliegen vorgetragen haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Wir haben es im Koalitionsvertrag vereinbart: Mit der Zahlung eines Gehörlosengeldes soll ein Ausgleich zur Bewältigung alltäglicher Herausforderungen geschaffen und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erleichtert werden. Wir haben dies vereinbart; und wir werden es umsetzen. Bei der Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Landesblindengeldgesetzes hat Staatsminister Klose erklärt, dass das Gehörlosengeld in einem eigenen Gesetz umgesetzt werden soll; und nun hat er seinen Worten Taten folgen lassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 6 Millionen € stehen für die Einführung eines Gehörlosen- und Taubblindengeldes einmalig in diesem Jahr sowie 8 Millionen € in den darauffolgenden Jahren bereit. Hessen bringt dieses Gesetz in einer Zeit auf den Weg, in der der Bund und die Länder gerade gewaltige finanzielle Anstrengungen unternehmen, um der Corona-Pandemie begegnen zu können. Dass dieser Gesetzentwurf nun trotzdem in die Umsetzung gehen soll, zeigt den Stellenwert und die Bedeutung, die dieses Vorhaben für das Land Hessen einnimmt. An dieser Stelle geht mein Dank auch an die Hessische Landesregierung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns das Gesetz zur Teilhabe von Menschen mit Sinnesbehinderungen nun im Detail an. Menschen mit Sinnesbehinderungen – dabei geht es insbesondere um gehörlose, blinde und taubblinde Menschen – haben Mehraufwendungen, die ausgeglichen werden müssen, um gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Einige Bundesländer haben dies bereits landesgesetzlich geregelt und entsprechende Gelder für Gehörlose und Taubblinde bereitgestellt. In Hessen soll es nun für ca. 3.900 Betroffene einen Ausgleich geben. Das Gehörlosengeld – wir haben es schon gehört – soll monatlich 150 € und das Taubblindengeld soll das Doppelte des Blindengeldes betragen. Also, das Landesblindengeld wird 658 € und das Taubblindengeld wird ca. 1.300 € betragen. Hessen schneidet im Ländervergleich gut ab, sowohl mit dem bereits bestehenden Landesblindengeld als auch mit dem jetzt geplanten Gehörlosen- und Taubblindengeld; denn die Höhe variiert in den einzelnen Bundesländern deutlich. So hat NRW einen Ausgleich von 77 €, Sachsen- Anhalt von 52 € und Thüringen von 100 €, um nur einige Beispiele zu nennen. Das hessische Gehörlosengeld liegt also in einer vergleichbaren Größenordnung mit den Leistungen anderer Bundesländer, und es orientiert sich an den Kosten für ca. zwei Stunden Gebärdensprachdolmetschen für den Alltag, die bislang mit ca. 75 € beziffert werden konnten. Das Gehörlosen- und Taubblindengeld soll entsprechend dem Blindengeld gehörlosenbedingten und taubheitsbedingten Mehraufwand unter bestimmten Voraussetzungen einkommens- und vermögensunabhängig ausgleichen. Leistungsberechtigte Personen bringen den Nachweis mittels eines Schwerbehindertenausweises mit den entsprechenden Merkzeichen Gl oder TBl ein. Dies haben wir hier schon gehört; und, ich glaube, dies werden wir in den weiteren Beratungen noch näher betrachten. Das Gehörlosengeld wird auf Antrag gewährt; dieser ist beim überörtlichen Träger der Sozialhilfe schriftlich zu stellen. Die Auszahlung erfolgt monatlich im Voraus und beginnt mit dem ersten Monat, in dem der Anspruch geltend gemacht wird. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben nun um die Stellungnahmen der Verbände gebeten und sind gespannt, welche Anregungen uns noch erreichen werden. Alles in allem enthält der Gesetzentwurf der Landesregierung, was das Gesetz schlussendlich erfüllen soll. Es dient dem Nachteilsausgleich für Menschen mit Sinnesbehinderungen. Es stärkt die Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ist ein wichtiger Baustein hin zu einer inklusiven Gesellschaft. In diesem Sinne freue ich mich über die Einführung eines Gehörlosen- und Taubblindengeldes in Hessen und wünsche uns weiterhin eine gute Beratung. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)