1. Oktober 2020

Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

verehrte Damen und Herren! Uns liegt ein Antrag der AfD vor, der sich an Durchschaubarkeit kaum überbieten lässt. Das, was Sie uns als Auseinandersetzung mit dem Missstand der geschlechtsspezifischen Gewalt verkaufen wollen, ist für mich einfach nur rassistische Stimmungsmache im Namen von Frauenrechten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt
SPD und DIE LINKE – Zuruf AfD)

– Wir kommen noch dazu. – Ja, wir haben ein gesamtgesellschaftliches Problem mit der Gewalt gegen Frauen und Kinder. Wir haben dieses Problem in Hessen, in Deutschland, in Europa und weltweit. Aber diese Thematik bewusst mit Migration zu verknüpfen hat System. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat System bei rechtspopulistischen Parteien.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt
SPD und DIE LINKE – Zuruf AfD: Genau diese
Frauen schützen wir!)

Ausgerechnet die AfD wähnt sich als Verfechter – ich unterlassehier bewusst das Gendern – für die Überwindung von Gewalt an Migrantinnen und ausländischen Mitbürgern. Das ist für mich als Frau und Feministin einfach nur heuchlerisch.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und
DIE LINKE – Zuruf Volker Richter (AfD))

In Ihrem Antrag ist die Rede von „familiärer und partnerschaftlicher Gewalt“ gegen Frauen und Mädchen „insbesondere aus patriarchalisch oder islamisch geprägten Herkunftsländern“. Da stolpere ich über etwas. Ich stolpere über etwas, was für mich überhaupt nicht zusammenpasst: die AfD im Kampf gegen die Folgen patriarchaler Strukturen?

(Volker Richter (AfD): Ja!)

Ich schaue einmal ins Parlament, das hat nämlich auch etwas mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun. Frau Papst-Dippel ist gekommen, das ist schön, ansonsten sitzen die Herren der AfD da und reden über Geschlechtergerechtigkeit in Hessen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt
CDU – Zurufe AfD)

Ich empfehle den Herren von der AfD und Frau Papst-Dippel, einen Blick in Ihr Wahlprogramm zu werfen – vielleicht einfach, bevor Sie einen Antrag stellen – zur Überprüfung Ihrer Glaubwürdigkeit. Denn was lese ich unter Kapitel 3, Familie? Das möchte ich zitieren: Im Rahmen des Gender-Mainstreamings werden naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestritten. Das angeblich im Elternhaus geprägte Rollenverständnis von Mann und Frau soll durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen systematisch „korrigiert“
werden. Die AfD lehnt diese Geschlechterpädagogik ab. Das nenne ich eine klare Auseinandersetzung mit Intersexualität. Das nenne ich eine wirkliche Willenserklärung zu der Gleichstellung von Mann und Frau. Das ist doch wirklich kein emanzipatorischer Ansatz zum Thema Geschlechtergerechtigkeit,
oder? Gehen wir jetzt auf den Antrag ein. Nehmen wir den Themenkomplex der Partnerschaftsgewalt. Häusliche Gewalt findet mitten in der Gesellschaft statt. Jede vierte Frau erfährt im Laufe ihres Lebens Gewalt durch ihren Partner, und das unabhängig von Herkunft, Bildung, Einkommen,
Alter oder Religion.

(Volker Richter (AfD): Das behaupten Sie!)

Dieser Befund ist nicht nur für Deutschland gültig, sondern für ganz Europa. Wenn Sie lesen können, dann können Sie das in einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur nachlesen; die hat es nämlich ganz aktuell gezeigt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und
vereinzelt CDU – Zuruf Volker Richter (AfD))

122 Frauen starben allein im Jahr 2018 in Deutschland durch häusliche Gewalt. Ist der Täter und/oder das Opfer ausländischer Herkunft, erhält der Fall von Ihnen besondere Aufmerksamkeit. Warum? – Weil Sie ein einfaches Narrativ bedienen: die Angst vor dem Fremden, vor dem Unbekannten, vor einer nicht vertrauten Kultur. Sie bedienen diese Erzählung immer und immer wieder.

(Andreas Lichert (AfD): Die Bundesregierung macht
mit, weil sie passende Zahlen dafür hat! Wie erklären
Sie das?)

Sie kommen mit einem Antrag um die Ecke

(Zurufe AfD: Gar nicht! – Lachen AfD)

– anders kann ich es gar nicht sagen – und fordern die Erarbeitung von Konzepten und Gesetzesinitiativen. Ich frage mich ernsthaft: Wo waren Sie die letzten Wochen und Monate? Wo waren Sie bei der Debatte um die Istanbul-Konvention? Wo waren Sie, als wir einen inhaltlichen Diskurs zu Femiziden geführt haben? Wo waren Sie, als Herr Staatsminister Klose die Präventionsmaßnahmen vorgestellt hat? Waren Sie nicht da, oder haben Sie nicht zugehört? Oder haben Sie die Programme gar nicht verstanden?

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD –
Zurufe Volker Richter (AfD))

Sie haben – noch einmal zur Erinnerung – vor drei Wochen 3 Millionen € abgelehnt – 3 Millionen €, die zusätzlich zur effektiven Bekämpfung der Gewalt an Frauen in Hessen bereitgestellt werden sollen. Das wurde von der AfD vor drei Wochen abgelehnt.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Hört, hört!)

Aber wir machen uns natürlich die Mühe und schauen uns den Antrag genauer an. Sie beziehen sich zum Teil auf eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, genauer gesagt, auf eine Sekundäranalyse zur gesundheitlichen und Gewaltsituation von Frauenmit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland. Da wird bestätigt, dass Frauen mit Migrationshintergrund eine
höhere Gewaltbelastung aufweisen. Aber um ein genaues Bild zu erhalten, sollten Sie auch die
Studien zur Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen und die kriminalstatistische Auswertung zu Partnerschaftsgewalt hinzuziehen. Denn da ist deutlich zu erkennen, dass viele Risikofaktoren dazu beitragen, dass es zur Gewalt gegen Frauen kommt. Aber Sie fokussieren sich nur auf einen Risikofaktor und auf ein Muster, das Sie bespielen wollen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf Volker
Richter (AfD))

Wir haben die Risikofaktoren. Das ist z. B. die Isolation der Frau; Alkohol kann ein gewaltfördernder Faktor sein; nicht zu vergessen sind auch die ungleichen Machtaufgaben und Rollenverteilungen; eine Scheidungssituation gehört auch dazu. Wir haben eine Menge Muster, die dazu beitragen können, diese Gewalt zu verschärfen. Aber Sie schaffen es natürlich nur, daraus tendenziös eine Folgerung zu ziehen. Die passt dann genau in Ihre Weltanschauung.

(Volker Richter (AfD): Weil wir diesen Menschen
helfen wollen! – Gegenruf Saadet Sönmez (DIE
LINKE): Die Frauen wollen Ihre Hilfe nicht!)

Sie picken sich einen soziostrukturellen Faktor heraus und blenden alle Risikofaktoren aus. Sie suchen gezielt die Verknüpfung zur Migration. Das bezeichne ich als reine Instrumentalisierung eines gesamtgesellschaftlichen Problems.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und
vereinzelt SPD)

Sie fordern die Einrichtung einer Enquetekommission zur Partnerschaftsgewalt. Dazu kann ich wirklich nur sagen: Wir sind bereits die Umsetzung der Istanbul-Konvention angegangen. Es ist die Grundlage für das Handeln der Hessischen Landesregierung. Gewaltschutz und Präventionsförderung gehören zu den wichtigsten staatlichen Aufgaben. Die Istanbul-Konvention ist in Deutschland ratifiziert und gilt im Range eines Bundesgesetzes verbindlich für alle staatlichen Stellen. Was Ihnen anscheinend komplett nicht bekannt ist: Wir haben ein breites Netzwerk aus Fachberatungsstellen, Frauenhäusernund Interventionsstellen, in dem zahlreiche Maßnahmen zur Intervention und Prävention von häuslicher
Gewalt zum Tragen kommen. Zu dem, was Sie noch fordern, was wir alles tun müssten, oder was die Landesregierung alles unterlässt: Wir haben eine Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt.
Wir haben Landesarbeitsgruppen zum Kinderschutz. Wir haben eine Arbeitsgruppe zur Gewalt im häuslichen Bereichund zum Menschenhandel.

Jetzt kommt etwas, was Sie anscheinend überhaupt nie gelesen haben oder womit Sie sich nie befasst haben: Wir haben bereits einen Landespräventionsrat, der sich mit dem Thema Ehrgewalt beschäftigt. Wir haben auch zu diesem Themenkomplex einen runden Tisch eingerichtet. Dieser arbeitet sehr erfolgreich. Das ist der „Landesweite Runde Tisch gegen Gewalt im Namen der Ehre in Hessen“. Da
gibt es auch ein Drei-Regionen-Modell. Wenn Sie da gewesen wären, als Herr Staatsminister Klose das vorgestellt hat, wüssten Sie vielleicht auch, dass es diese präventiven Maßnahmen in Hessen bereits gibt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU –
Volker Richter (AfD): Helfen die?)

Hessen geht bei vielen Themen beispielhaft voran. Wir haben das Projekt „HEROES – Gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Für Gleichberechtigung!“ Hier geht es insbesondere darum, jungen Männern die Möglichkeit zu geben, sich für Gleichberechtigung der Geschlechter und gegen Unterdrückung von Mädchen und Frauen zu engagieren. Wir haben seit 2018 ein Modellprojekt, um Frauen und Mädchen vor Genitalverstümmelung zu schützen, und wir haben Projekte, um die Selbstbehauptung von Frauen und Mädchen, insbesondere im ländlichen Raum, zu stärken.

(Volker Richter (AfD): Warum reichen die Frauenhäuser
nicht?)

Sie fordern in Ihrem Antrag, Sach- und Geldmittel zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen bereitzustellen. Da frage ich noch einmal: Wissen Sie von unseren Mitteln, die wir im Land bereitgestellt haben? Ist Ihnen bewusst, was wir mittlerweile dafür ausgeben? – Anscheinend nicht, sonst hätten Sie Ihren Antrag so nicht formuliert. Ihre Forderung nach einer Erarbeitung von Gesetzesinitiativen und Konzepten wirkt für mich so, als seien Ihnen alle Präventionsmaßnahmen und Interventionsmaßnahmen, die wir bereits haben, überhaupt nicht bekannt. Sonst hätte dieser Antrag so heute nicht vorgelegt werden können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Das Land Hessen stellt sich der Aufgabe gemäß der Umsetzung der Istanbul-Konvention, jedwede Gewalt gegen alle in unserem Land lebenden Frauen und Mädchen effektiv zu bekämpfen. Leider begegnen uns diskriminierende Machtstrukturen überall, und die beschränken leider die Teilhabe von Frauen und fördern die Gewalt gegen Frauen. Aber noch ein letzter Appell – ich sehe, die Redezeit ist
abgelaufen – an die Herren der AfD: Missbrauchen Sie bitte zukünftig nicht das ernste Thema der geschlechtsspezifischen Gewalt für Ihre politischen Zwecke.

(Robert Lambrou (AfD): Tun wir nicht!)

Ihr Versuch, sich hier als Verteidiger von Frauenrechten darzustellen, ist mit diesem Antrag wirklich kläglich gescheitert.
– Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, Torsten
Warnecke (SPD) und Torsten Felstehausen (DIE
LINKE))